Diese Monographie ist eine ungefähre Theorie eines unsauberen Autors zu einem unordentlichen und aporetischen Thema. Beim Versuch, den Pudding an die Wand zu nageln, empfiehlt es sich, das Durcheinander halbwegs in den Griff zu bekommen. Allein so, nämlich durch eine ungefähre Näherungslösung, kann man das Thema Normalität angehen. 
Eine Aufgabe für einen Essayisten also, da Philosophen heutiger Prägung in Deutschland (normalerweise) unter akademischem Waschzwang leiden und das Ungefähre wie das Ungenaue eher meiden. Hierdurch entgeht allerdings Erkenntnisgewinn, da solche Lösungen besser sind als gar keine.

Normalität beinhaltet das Wertende und Messende. Es ist somit implizit mit statistischen Methoden - hier besonders dem statistischen Prinzip Durchschnitt - sowie ökonomischen Modellen verknüpft. Besonders das ökonomische Minimalprinzip sei zum Verständnis von Normalität vorweggenommen. Man erreiche ein gegebenes Ziel mit möglichst geringem Aufwand. Insofern stellt die Normalität einen Datenverarbeitungsmechanismus dar, mit dem man Orientierung gewinnt.

Die überbordenden Datenmengen umnebeln die Erkenntnis. Normalität ist mithin nicht das schärfste Erkenntnisinstrument, sondern dasjenige, welches unkompliziert Orientierung bietet. Sie funktioniert als Dieselmotor zuverlässig. Als solche wird sie somit massentauglich und gerade deshalb zur Institution, zum Regel- und Handlungsmechanismus im Sinne des Ökonomen Oliver Williamson.

Der Bezug zur ökonomischen Theorie bleibt bei Normalität also kaum zu leugnen, was bisher in der Analyse des Phänomens meist unter den Tisch fiel. Im Gegensatz zum philosophischen Begriff Eigentlichkeit tritt also das Messende und Wertende bei Normalität in den Vordergrund. Ein weiterer Begriff, nämlich das Allgemeine, verzichtet ebenso auf Wertung und Vermessung. Im Sinne Jürgen Links stellt das Normale ein Dispositiv dar – es dient sozusagen als Maßstab, im Gegensatz zum Allgemeinen und Eigentlichen. Normalität wird somit zum Erkenntnisanker, der Orientierung anbietet. Inwieweit Orientierung zum Zwang wird, also normative Züge trägt, wird hier erörtert werden.  Normalität steht im Verhältnis zum Normalen wie Infrastruktur zum Verkehr. Wie die Infrastruktur eine Klammer für die Bedingung der Möglichkeiten von Verkehr ist, gibt Normalität dem Normalen Form, wobei diese nicht starr ist.

Ein Beispiel: Wenn man über Marxismus, Christentum, Buddhismus oder einen anderen komplexen Sachverhalt etwas sagen kann, dann nur, was es normalerweise jetzt ist. Das Komplexe wird auf den Punkt gebracht, indem man es bewertet, vermisst und raffiniert, wenn man der Logik der statistischen Prinzipien Durchschnitt und Streuung folgt. Auf diesen expliziten Prinzipien fußt die implizite Institution Normalität. 
Man kann also Dinge und Tatsachen nur in starre Worte kleiden, wenn man sie zusammenfasst. So gibt es nicht den Buddhismus/Sozialismus oder das Christentum, aber eine mehrheitsmäßige und somit normale Interpretation dieser Sachverhalte. Das Komplexe zu bändigen - dies geschieht durch Normalisierung. Ferner wäre es eine falsche Annahme, dass es nur eine über die Zeiten und Regionen ewig gleiche Normalität gibt. So sei hier der Begriff Subnormalität vorweggeschickt, Subnormalität verhält sich zu Normalität wie Zimmer zu Wohnung.

Abhängig von der kulturellen Einbettung und örtlichen Gegebenheiten variiert Normalität. Es gibt somit Normalitäten. Aber gibt es auch die eine große Klammer – die Normalität, welche sozusagen in Anspruch nehmen kann, über anderen zu stehen? Dem wird hier nachzugehen sein.

 

 

 

"Jedes Ich ein Standard. Keine Kultur ohne Normalität."

"Zur Normalität gehört das Aggregat/Cluster. Es ist wie ein bunter Sack erfahrener Sachverhalte, der ohne die sie strukturierende Normalität erkenntnistheoretischer Urwald bliebe. Es ist ein unförmiges Etwas von Erfahrungen, die so wulstig sind wie ein Leistenbruch, der aufs Knie durchrutscht oder eine Schlammlawine, die bei Regen zu Tal saust."

"Am Anfang war das Cluster, und das Cluster war wild - oder musikalisch: Es, das nie begonnen, es, das immer war, ewig ist und waltet, sein wird immerdar"

"Normalität heisst also Normalität der Lebenden."

"Ähnlich einem Pudding aus zwei verschiedenfarbigen Schichten wird mit dem Umrühren ein ästhetisch anmutender Strudel erzeugt, der dem Goldenen Schnitt oder einer Schnecke gleicht. Als nichts Anderes erscheint die Tätigkeit des Statistikers: die bei dem Umrühren entstehenden Bahnen geben dem Pudding Struktur. Diskurs erscheint allegorisch als Umrühren. Hier bietet sich der Übergang zur Ökonomie an."

"Jeder Witz eine Residualgröße und jede Residualgröße ein Witz – am meisten lacht man über das, was sich am wenigsten erklären lässt."

"Ähnlich wie Pinocchio ist aus dem hölzernen Männlein eine lebendige Ikone geworden, die sich nicht mehr analog, sondern digital bewegt. Pinocchio hier nicht als Ikone des Lügens verstanden, sondern als Mechanismus, der zum Organismus wurde. "

"Digitalisierung, Statistisierung und Ökonomisierung sind die Heiligen Drei Könige der Post-Post-Moderne. Die Geburt des Statisticus im Geiste der digitalen Ökonomie sozusagen. Ohne homo oeconomicus kein statistischer Mensch."

"Den vermessenen Menschen (homo statisticus) erkennt man an seinem Waschbrettbauch. Der Standard will verkörpert werden."


Das Buch ist erhältlich beim Kulturverlag Kadmos zum Preis von 19,90.  Zur Website des Kadmos Verlages.

 

 

 

Hans-Martin Esser, Jahrgang 1978, studierte Ökonomie und Politikwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum, später folgten Aufenthalte an der University of California (Berkeley) in den Bereichen Film Theorie und Rhetorik sowie an der University of Cambridge in den Bereichen Mediävistik und Geschichte.

Einige sagen, er sei nicht ganz normal, weshalb er diesen Essay geschrieben habe. Andere sagen, dass er zu viel Zeit habe und sich deshalb um dermaßen alberne Themen kümmern könne.

In Wirklichkeit hat er das Buch allerdings geschrieben, weil es eine Marktlücke war. Kaum ein Autor interessierte sich für das Normale, weil es ja – wie selbstverständlich – da zu sein scheint.

Während seines Wirtschaftsstudiums, besonders aber für die Statistikprüfung merkte er, dass die Denkvorgänge, Wirklichkeit abzubilden, im Grunde denen der Philosophie ähneln. Statistik und Wirtschaft sind also Philosophie mit anderen Mitteln.

 

In der Freizeit - so sagt man - esse er gern rohes Fleisch.

 

 

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